Besamung

Natursprung, Frisch- oder Tiefgefriersperma, Embryotransfer und Klonen: In der Pferdezucht reifen immer mehr Fortpflanzungsmethoden zu routinemäßigen Verfahren aus – dabei sind nur einige für den Züchter und seine Stuten tatsächlich von Nutzen. BAYERNS PFERDE stellt Vor- und Nachteile vor.


Am Anfang war der Natursprung.

Der Züchter führte oder ritt seine Stute zu einem der Landbeschäler, die von den Staatsgestüten in der ganzen Republik auf den Deckstationen aufgestellt waren und bis heute sind. Rosste die Stute am Hengst, wurde sie gedeckt. Das wiederholte sich alle zwei Tage – so lange bis die äußere Rosse vorbei war, die Stute also abschlug. Zeigte sie danach keine weitere Deckbereitschaft, war sie tragend, kam sie wieder in Rosse, wiederholte sich die ganze Prozedur.
Heute geht es dem Züchter nicht mehr darum, ein neues Arbeitspferd für den Einsatz in der Landwirtschaft oder als Transportmittel zu züchten, sondern das was früher die Ausnahme war, ist heute die Regel: Gezielt werden Anpaarungen ausgewählt, um Spitzensportler oder Ausnahmevererber zu produzieren. Keine Kosten werden gescheut und das Deckgeschäft hat sich dank der Fortschritte in der Medizin zu einem wichtigen Teil der Pferde-„Industrie“ entwickelt. Vieles ist möglich geworden, aber nicht alles für alle sinnvoll. Und zum Glück spielt die Natur nicht immer mit!

An ihrer Qualität sollt ihr sie erkennen

Der Beginn aller modernen Besamungsmethoden liegt in der Spermagewinnung. Dazu wird der Hengst mit Hilfe einer künstlichen Scheide auf einer rossenden Stute oder einem Phantom mit oder ohne Anwesenheit einer Stute abgesamt. Anschließend wird das Ejakulat filtriert, um größere Verunreinigungen und das so genannte Seminalplasma zu entfernen. Letzteres ist ein Teil des Sekrets der akzessorischen Geschlechtsdrüsen und für die Befruchtung nicht nötig und schränkt sogar die Lebensdauer der Spermien ein. Nun besteht die Möglichkeit, mit Hilfe eines Mikroskops oder in speziellen Gerätschaften die Spermaqualität zu beurteilen. Dazu gehört einmal die Anzahl der lebenden Spermien pro Milliliter (Ejakulatmenge: mindestens 40 Milliliter mit einer Mindestanforderung von 100 x 106 Spermien), aber auch der Prozentsatz der missgebildeten oder nur ortsbeweglichen Spermien im Gegensatz zu den vorwärtsbeweglichen (normal: 70 Prozent, Mindestanforderung: 50 Prozent). Zusätzlich ist bei Zuchthengsten eine regelmäßige Untersuchung auf Krankheitserreger, z. B. EVA (Equine Virus Arteritis) vorgeschrieben. Die Vorteile dieser Methode liegen auf der Hand: Die nicht ganz unerheblichen Risiken für alle Beteiligten beim Natursprung werden deutlich reduziert, eine Qualitätskontrolle ist möglich, die Verbreitung von Krankheiten kann verhindert werden und vor allem können mehrere Stuten von einem Ejakulat besamt werden. Wie viele ist abhängig von der Anzahl der Spemien, die gewonnen werden können. Eine normale Besamungsdosis besteht aus 500 Millionen vorwärtsbeweglichen Spermien. Für eine erfolgreiche Befruchtung müssen ungefähr 1000 von ihnen an der Eizelle ankommen. Es ist aber nicht der Erste der Glückliche, sondern eben der Tausendste. Die 999 vor ihm ebnen ihm sozusagen den Weg, indem sie für ein Durchbrechen der äußeren Hülle der Eizelle sorgen und so „die Tür öffnen“. Die Menge der Spermien und auch ihre Qualität sind kein genormter Wert. Neben genetischen Dispositionen können Krankheit, Stress, Medikamente und die Frequenz der Absamungen Einfluss nehmen.

Konserviert geht es auf die Reise

Mit Frischsperma als Ergebnis des oben beschriebenen Prozesses eine Stute zu besamen, ist die einfachste Möglichkeit der künstlichen Besamung. Da die Spermien so aber nur kurze Zeit überleben, müssen sich Hengst und Stute in einer gewissen Nähe befinden, sinnvoller Weise auf derselben Besamungsstation. Auf diese Weise nutzt man alle Vorteile der künstlichen Befruchtung, man verwendet aufbereitetes Sperma, das noch nicht dem Alterungsprozess unterliegt oder mit Hilfsstoffen versehen wurde. Die Entwicklung der modernen Pferdezucht bringt es aber mit sich, dass der gewünschte Vererber nicht immer um die Ecke zu finden ist und so wird eine Konservierung nötig, damit die Spermien auch längere Transporte unbeschadet überstehen. Erreicht wird dies durch zwei Maßnahmen. Zum ersten wird das Ejakulat mit einer Nährlösung verdünnt. Diese sichert die Energieversorgung und verhindert negative Einflüsse bei Temperaturabsenkung. Zum anderen wird die Temperatur auf Kühlschrankniveau abgesenkt, um den Stoffwechsel und damit den Energieverbrauch der Erbgutträger zu senken. Dieses Kühlsperma ist in der Regel für 48 Stunden sinnvoll in der Besamung einzusetzen, wobei hier signifikante Unterschiede zwischen den verschiedenen Hengsten bestehen und es kann eine große Herausforderung darstellen, für bestimmte Vatertiere die richtige Zusammensetzung der Nährlösung (des so genannten Verdünners) herauszufinden. In entsprechend isolierten Boxen versand, kann man auf diese Art Stuten in großen Entfernungen besamen. Nachteilig wirken sich hier die mit der Zeit abnehmende Spermaqualität und vor allem die Reaktion der Gebärmutterschleimhaut auf die Bestandteile des Verdünners aus. Schon die Spermien stellen für das Abwehrsystem des weiblichen Genitales Fremdmaterial dar, werden also bekämpft und bei einer nicht unerheblichen Zahl von Stuten ist im Ultraschallbild nach einer Besamung eine Entzündungsreaktion sichtbar. Da ist es nur logisch, dass Bestandteile des Verdünners wie Magermilch oder Eigelb diese Reaktion noch verschlimmern können. Natürlich werden die meisten Stuten trotzdem tragend, aber wer schon mal gegen Ende der Zuchtsaison eine nicht-tragende Stute im Stall stehen hatte, hat sich mit diesem Problem sicher schon einmal auseinander gesetzt.

Eiszeit
Weiter oben wurde schon angedeutet, dass Stress und Spermaqualität nicht die besten Freunde sind, erschwerend kommt hinzu, dass der Deckakt fürs Pferd nicht ohne Anstrengung abläuft. Der moderne Pferde-Mann muss neben seinen Vater-Pflichten meist auch noch einem bürgerlichen Beruf im Sport nachgehen und der bedeutet eben Stress. Um also dem Leistungsvererber die Doppelbelastung Familie und Beruf zu ersparen, findet der Züchter im Hengstkatalog immer häufiger den Eintrag: Nur TG. Soll heißen: In der Turnierpause wird jede Menge Sperma von einem Hengst gewonnen und davon Tiefgefrier-Sperma (TG) hergestellt. Wenn der Züchter seine Stute besamen lässt, kann er den Vater des Fohlens gleichzeitig auf den Turnierplätzen dieser Welt bewundern.
Und so geht’s: Das Frischsperma wird diesmal mit einem entsprechenden Tiefgefrier-Verdünner versehen. Er hat vor allem die Aufgabe, die Keimzellen vor Temperaturschäden zu bewahren. Anschließend wird dieses Gemisch in kleine strohhalmartige Kunststoffröhrchen gesaugt, diese werden nach dem Verschluss langsam abgekühlt und schließlich in flüssigem Stickstoff gelagert (das kleine Wunder besteht darin, dass die Spermien bei Temperaturen von unter minus 196°C eingefroren sind und einfach weiterleben, wenn man sie in der richtigen Art und Weise wieder auftaut). Dort können sie nahezu unbegrenzt überdauern, womit sich ein weiterer Vorteil dieser Methode offenbart: Auch nach dem Tod, der Kastration oder des Verkaufs eines Hengstes kann er noch Fohlen erzeugen. Das Herstellungsverfahren ist aufwendig und deshalb kostspielig. Schlimmer aber noch: Der Besamungserfolg von TG-Sperma liegt unter dem von einfachem Kühlsperma bei intensiverem Untersuchungsaufwand. So muss das Sperma nach der Tiefkühlung wesentlich dichter am Ovulationszeitpunkt in der Gebärmutter abgesetzt werden, da die Spermien nicht mehr so lange lebens- und damit befruchtungsfähig sind. Es ergibt sich eine sinnvolle Untersuchungs-Intervall der Stute von sechs Stunden. Unterm Strich bleibt also weniger Erfolg bei höheren Kosten. Hinzukommt folgendes: Die Zuchtoberen der deutschen Verbände fordern stetig Zuchtfortschritt. Der stellt sich bekanntermaßen nur dann ein, wenn man die Söhne eines bewährten Vererbers einsetzt, stellen sie doch eine Verbesserung ihrer beiden Elternteile dar. TG-Sperma eines Hengstes für seine Stute auszuwählen, der bereits vor Jahren von der züchterischen Bühne abgetreten ist, orientiert sich also nicht unbedingt an den aktuellen hippologischen Gegebenheiten.

Vieles machbar – nicht alles sinnvoll

Fast könnte man meinen, Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen hätte nicht nur die Rolle der Frau in unserer Gesellschaft verändert, sondern auch die der Stute. Denn auch hier gibt es immer häufiger Fälle von berufstätigen Damen, die die Erziehung ihrer Kinder anderen überlassen (und sogar das Austragen). Allerdings: So häufig sind siebenfache Mütter nicht in der Politik zu finden und auch der Embryotransfer wird für den normalen Züchter in Zukunft nicht Routine sein.
Wenn doch, folgt man diesem Rezept: Man nehme die Zuchtstute und behandle sie mit Hormonen, so dass nicht ein oder zwei Follikel heranreifen, sondern deutlich mehr, besame sie zum richtigen Zeitpunkt und spüle ca. vier Tage nach dem Eisprung die hoffentlich entstandenen Embryonen aus der Gebärmutter. Unter dem Mikroskop können diese Zellhaufen auf ihre Qualität überprüft werden und anschließend in eine zyklussynchrone Stute eingepflanzt oder auch tiefgefroren werden. Wenn alles gut läuft, bekommt also die Empfängerstute ein gesundes Fohlen, während die Spenderstute weiter Embryonen produzieren oder Turniere gewinnen kann. Dieses Verfahren wird zwar routinemäßig eingesetzt, der Aufwand und der Erfolg reservieren es aber für große, professionelle Zuchtbetriebe, da schon die Bereitstellung mehrerer synchronisierter Stuten einen erheblichen Aufwand darstellt.
Noch größer ist der Aufwand, wenn man eine Kopie eines lebenden Pferdes haben möchte. Auch das ist möglich: E.T. von Hugo Simon soll 2009 in den Deckeinsatz gehen. War E.T. nicht ein Wallach? Ja, aber er ist inzwischen geklont. Das heißt, einer Zelle des Wallachs wurde das Erbgut entnommen, einer entkernten Eizelle eingesetzt, diese dann wieder in die Stute verbracht und mit viel Glück ausgetragen. Das Genom des Klons stimmt dann zu fast 100 Prozent mit dem des Spenders überein. Allerdings ist das Alter des Spenders in seinem Erbgut gespeichert, dass bedeutet, der Klon altert vorzeitig, bekommt zum Beispiel Arthrosen und stirbt häufig weit vor seiner Zeit. Und welchen Wert dieser Klon in der züchterischen Landschaft oder auf der sportlichen Bühne tatsächlich hinterlässt, sei dahin gestellt. Dazu kommen noch ein paar offene ethische Fragen. Also alles in allem nicht das, was man landläufig unter Pferdzucht versteht!

Dr. Kristian Sander, Julia Martin